Ayahuasca all-inclusive

© Nick Ansted – Psychedelic Map

Ayahuasca all-inclusive

Frank Sem­bow­ski, 24. Febru­ar 2018

Vie­le Aya­huas­ca-Tou­ris­ten sind durch den Umstand irri­tiert, dass so gut wie jeder Scha­ma­ne von sich behaup­tet, die ein­zi­ge Per­son im gan­zen Ama­zo­nas­tief­land zu sein, den gewünsch­ten Zau­ber­trank her­stel­len zu kön­nen.1

R. Stuart

Schlag­wör­ter: Aya­huas­ca, DMT, Scha­ma­nis­mus, Dro­gen­tou­ris­mus, Kom­mer­zia­li­sie­rung, emo­tio­na­le Hei­lung, Spi­ri­tua­li­tät, Trans­for­ma­ti­on, Entheogen

Kor­re­spon­denz an: frank.​sembowski@​substanz.​info

Aya­huas­ca ist ein psy­cho­ak­ti­ves Getränk, das seit Jahr­tau­sen­den als zen­tra­les Ele­ment scha­ma­ni­scher Prak­ti­ken in Süd­ame­ri­ka Ver­wen­dung fin­det. Her­ge­stellt wird es aus wenigs­tens zwei pflanz­li­chen Zuta­ten, von denen die ers­te N,N‑Dimethyltryptamin (DMT) und die zwei­te Beta-Car­bol­i­ne, wie Har­min, Har­ma­lin und Tetra­hy­dro­h­ar­min, ent­hält. Die Beta-Car­bol­i­ne (in hohen Dosen eben­falls psy­cho­ak­tiv) ver­hin­dern den raschen Abbau des DMT, sodass die oral ein­ge­nom­me­ne Sub­stanz über meh­re­re Stun­den ihre Wir­kung ent­fal­ten kann.

Obwohl der Aya­huas­ca-Tou­ris­mus zu einem Hype erklärt wur­de, ist er kein neu­es Phä­no­men.2 Sei­nen Anfang nahm er bereits in den 70er-Jah­ren des letz­ten Jahr­hun­derts, als die ers­ten Bücher über Aya­huas­ca erschie­nen und frü­hes Inter­es­se vor allem in Nord­ame­ri­ka weck­ten. Zwar hat der Tou­ris­mus in Peru und ande­ren süd­ame­ri­ka­ni­schen Län­dern, in denen Aya­huas­ca tra­di­tio­nell ein­ge­setzt wird, über die Jah­re zuge­nom­men und es wird häu­fi­ger über Aya­huas­ca berich­tet, aber es lie­gen kei­ne zuver­läs­si­gen Schät­zun­gen dar­über vor, wie groß die Anzahl der­je­ni­gen Rei­sen­den ist, die an einer Zere­mo­nie teil­ge­nom­men haben.

Unab­hän­gig davon, ob der Hype exis­tiert oder nicht – die gestei­ger­te media­le Auf­merk­sam­keit hängt ver­mut­lich damit zusam­men, dass die wis­sen­schaft­li­che Fak­ten­la­ge es nicht län­ger zulässt, das Phä­no­men zu igno­rie­ren. Aya­huas­ca ist kein Hokus­po­kus. Das haben mitt­ler­wei­le auch die Geg­ner einer libe­ra­len Dro­gen­po­li­tik erkannt. Sei­ne Heil­wir­kun­gen sind so man­nig­fal­tig, dass ein­di­men­sio­na­le Erklä­rungs­mo­del­le die­sen nicht gerecht wer­den. Aya­huas­ca hat sich nicht nur als der inne­re Rat­ge­ber und the­ra­peu­ti­sche Beglei­ter erwie­sen, als den ihn die indi­ge­nen Grup­pen im heu­ti­gen Ecua­dor, Kolum­bi­en, Peru und Bra­si­li­en seit Jahr­tau­sen­den ken­nen – es ver­mag auch vie­le unse­rer zivi­li­sa­ti­ons­be­ding­ten Krank­hei­ten zu lin­dern und auf der Ebe­ne der Per­son einen befrei­en­den Trans­for­ma­ti­ons­pro­zess ein­zu­lei­ten. In einer bis­wei­len schmerz­haf­ten Selbst­schau setzt es die Ritu­al­teil­neh­mer in den Stand, emo­tio­na­le Blo­cka­den zu besei­ti­gen, hart­nä­cki­ge Gewohn­hei­ten abzu­le­gen und Trau­ma­ta zu überwinden.

Solch ein brei­tes Wir­kungs­spek­trum erregt unwei­ger­lich ein Gefühl der Irri­ta­ti­on und des Arg­wohns bei den­je­ni­gen, die nicht gewillt sind, sich mit den Ver­diens­ten scha­ma­ni­scher (ver­meint­lich rück­schritt­li­cher) Kul­tu­ren und der hei­len­den Kraft des Rauschs aus­ein­an­der­zu­set­zen. Die Par­tei­lich­keit und Ver­dreht­heit der Bericht­erstat­tung über Aya­huas­ca lässt erwar­tungs­ge­mäß zu wün­schen übrig.3

Dabei soll­te man sich fra­gen, was Men­schen ver­an­lasst, eine lan­ge Anrei­se und erheb­li­che Kos­ten auf sich zuneh­men, um in einem scha­ma­ni­schen Ritu­al ein bit­te­res, ziem­lich übel schme­cken­des Gebräu her­un­ter­zu­schlu­cken. Eini­ges deu­tet dar­auf hin, dass mehr und mehr Men­schen des­il­lu­sio­niert sind und der eige­nen Kul­tur und Gesell­schafts­ord­nung miss­trau­isch gegen­über­ste­hen. Das Leben in der moder­nen, indus­tria­li­sier­ten Welt mag durch Bil­dung und Wohl­stand gekenn­zeich­net sein; es wird jedoch auch von Stress, Hek­tik, sozia­ler Unge­rech­tig­keit und unver­hoh­le­nem Ego­is­mus bestimmt. In der west­li­chen Kul­tur ist es nicht vor­ge­se­hen, aus der Trost­lo­sig­keit und Linea­ri­tät des All­tags dau­er­haft aus­zu­bre­chen und das emo­tio­na­le Ungleich­ge­wicht, das die Gesell­schaft her­vor­bringt, durch ein radi­kal abwei­chen­des Lebens­mo­dell zu besei­ti­gen. Statt­des­sen ord­nen vie­le Leu­te sich unbe­wusst Ver­hal­tens­re­geln unter, die sie nicht ver­ste­hen und die sie als beklem­mend – im güns­tigs­ten Fall als will­kür­lich emp­fin­den. Die Scha­le ihres Inne­ren, ver­mag nicht mehr zu erklin­gen, weil sie ange­füllt ist mit zeit­li­chen Vor­ga­ben, Äußer­lich­kei­ten, mate­ri­el­lem genau­so wie mit tech­no­lo­gi­schem Nip­pes, den wir alle für unser Wohl­erge­hen nicht benö­ti­gen und der uns nichts­des­to­we­ni­ger als Ersatz für ein authen­ti­sches Leben gilt.

Der Begriff Spi­ri­tua­li­tät, der in die­sem Zusam­men­hang häu­fig gebraucht wird, mag nach neu­er Reli­gio­si­tät und Flucht ins Über­na­tür­li­che klin­gen, aber dahin­ter ver­birgt sich mei­ner Ansicht nach ledig­lich das Ver­lan­gen, mehr zu sein als das stum­me Mit­glied einer kon­sum­ori­en­tier­ten Leis­tungs­ge­sell­schaft. Offen­kun­dig ist die spi­ri­tu­el­le Not eini­ger Per­so­nen im Wes­ten so groß gewor­den, dass sie der Sprung über die kul­tu­rel­le Schlucht nicht mehr abschreckt. Sie ver­trau­en ihr See­len­heil lie­ber Frem­den an, als den Zustand, in dem sie gefan­gen sind, län­ger zu ertragen.

Und dage­gen lässt sich im Kern nicht das Gerings­te vor­brin­gen. In der Zuwen­dung zu scha­ma­ni­schen Prak­ti­ken oder im Wunsch nach spi­ri­tu­el­len (ich wür­de eher sagen trans­per­so­na­len) Erfah­run­gen ver­mag ich nichts Ver­werf­li­ches zu erken­nen. Der euro­päi­sche Bür­ger wird eksta­ti­sche Erfah­run­gen für rück­schritt­lich hal­ten – man kann der Aya­huas­ca-Wir­kung aber aus phar­ma­ko­lo­gi­scher und psy­cho­lo­gi­scher Sicht nicht vor­wer­fen, für eine sub­stanz­in­du­zier­te, künst­li­che Selig­keit zu sor­gen, durch die per­sön­li­che Pro­ble­me ver­drängt wer­den. Die­se Gefahr besteht bei Sub­stan­zen wie Hero­in, nicht bei einem Entheo­gen wie Ayahuasca.

Schwer fällt es mir eben­falls, nach­zu­voll­zie­hen, war­um Men­schen, die sich nach Hil­fe seh­nen und ihre psy­chi­schen oder emo­tio­na­len Kon­flik­te zu hei­len geden­ken, durch rausch­feind­li­che Kon­ven­tio­nen von ihrem Vor­ha­ben abge­hal­ten wer­den soll­ten. Dass Aya­huas­ca unter ritu­el­len Bedin­gun­gen wirk­sam ist, hat die Wis­sen­schaft mehr­fach bestä­tigt.4

Umge­kehrt hal­te ich es für eine Form des Ras­sis­mus, tra­di­tio­nel­le Aya­huas­ca-Zere­mo­nien aus­schließ­lich indi­ge­nen Grup­pen zuge­ste­hen zu wol­len. Wer das for­dert, sieht in der Mensch­heit einen Eth­no­zoo und möch­te die Geburt (und womög­lich die Haut­far­be) dar­über ent­schei­den las­sen, wel­che kul­tu­rel­len Errun­gen­schaf­ten einer Per­son unter­sagt sind oder ihr zuge­stan­den wer­den. Es trifft zu, dass wir im Moment nicht die Exper­ti­se besit­zen, Aya­huas­ca in einem bewähr­ten Set­ting ein­set­zen zu kön­nen – Eksta­se, Scha­ma­nis­mus und der Gebrauch psy­cho­ak­ti­ver Sub­stan­zen sind jedoch welt­wei­te Ur-Phä­no­me­ne, die in Euro­pa in ihrer tra­di­tio­nel­len Form erst spät Äch­tung erfuh­ren. Was im Land der For­scher und Den­ker unvor­stell­bar ist, gehört anders­wo zur Nor­ma­li­tät. In Peru bei­spiels­wei­se neh­men Prä­si­den­ten an Aya­huas­ca-Zere­mo­nien teil.5

Die Moti­ve der­je­ni­gen, die nach Süd­ame­ri­ka flie­gen, um Aya­huas­ca zu trin­ken, sind genau­so bunt wie die Moti­ve der indi­ge­nen süd­ame­ri­ka­ni­schen Bevöl­ke­rung. Um einen Dro­gen­kick geht es den aller­we­nigs­ten. Die lan­ge Lis­te der Beweg­grün­de umfasst die Suche nach der Beant­wor­tung zen­tra­ler Lebens­fra­gen, das Meis­tern einer Lebens­si­tua­ti­on, das Aus­lö­sen eines emo­tio­na­len und indi­vi­du­el­len Hei­lungs­pro­zes­ses, das Aus­lo­ten der eige­nen Psy­che, der Wunsch nach gestei­ger­ter Acht­sam­keit gegen­über sich und ande­ren, das Erfah­ren einer per­sön­li­chen Ver­bun­den­heit mit der Natur und dem Kos­mos, das Besei­ti­gen inne­rer Blo­cka­den, das Able­gen von Sucht­ver­hal­ten, das Über­win­den von Ängs­ten, das Emp­fan­gen künst­le­ri­scher Inspi­ra­ti­on und – nicht zuletzt – das Befrie­di­gen wis­sen­schaft­li­cher Neu­gier­de.6,7

Die Bür­ger in Peru und in ande­ren süd­ame­ri­ka­ni­schen Län­dern ver­die­nen Geld mit den ihnen zur Ver­fü­gung ste­hen­den Res­sour­cen? – Was gibt es dar­an aus­zu­set­zen? Für sei­nen Lebens­un­ter­halt zu sor­gen und Ein­nah­men zu erzie­len ist das Recht jedes Men­schen. In Euro­pa dreht sich so gut wie alles ums Geld­ver­die­nen. Gegen Sys­tem­kri­tik weh­ren wir uns aus Eitel­keit und finan­zi­el­ler Gier mit Hän­den und Füßen. Unter sol­chen Vor­aus­set­zun­gen, mei­ne ich, steht uns ein Urteil über ande­re Kul­tu­ren und Gepflo­gen­hei­ten nicht zu.

Um es deut­lich zu sagen: Aya­huas­ca ist ein kul­tu­rel­les Ver­mächt­nis von kaum zu über­schät­zen­der Bedeu­tung. Es soll­te allen Men­schen zugäng­lich gemacht wer­den. Kri­tik, die vor dem Unbe­kann­ten nur des­we­gen warnt, weil es außer­halb des eige­nen Erfah­rungs­be­reichs liegt, hal­te ich unter die­sen Umstän­den für unan­ge­bracht. Auf­ga­be soll­te es nicht sein, den Zugang zu Aya­huas­ca zu unter­drü­cken, son­dern – im Gegen­teil – zu erleich­tern. Weil aber die­ses Ziel durch das gegen­wär­ti­ge gedan­ken­lo­se Vor­ge­hen bedroht wird, möch­te ich den Aya­huas­ca-Tou­ris­mus und die Publi­ci­ty, die Aya­huas­ca der­zeit in den Medi­en erfährt, kri­tisch hinterfragen.

Die Unwäg­bar­kei­ten der Aya­huas­ca-Erfah­rung sind in den meis­ten Fäl­len nicht kör­per­li­cher Natur. Aller­dings kann auch das posi­ti­ve Erle­ben zu star­kem psy­cho­lo­gi­schem Stress füh­ren. Im Dia­gno­stic and Sta­tis­ti­cal Manu­al of Men­tal Dis­or­ders (DSM-IV-TR) wur­de kürz­lich die Kate­go­rie „Reli­giö­se und spi­ri­tu­el­le Pro­ble­me“ als neu­er Sym­ptom­kom­plex auf­ge­nom­men. Des­sen Bedeu­tung und Cha­rak­ter hat­ten bereits Sta­nis­lav und Chris­ti­na Grof in den 80er-Jah­ren erkannt. Sie beschrie­ben ihn als eine Kri­se, wäh­rend der das Iden­ti­täts­ge­fühl ver­lo­ren geht, alte Wer­te ihre Gül­tig­keit ver­lie­ren und sich die per­sön­li­che Rea­li­tät, die so fest und unwan­del­bar zu sein scheint, auf dra­ma­ti­sche Wei­se ver­än­dert. Dar­aus ent­steht ein Zustand der Ver­wir­rung und der Angst, den Halt in der Gesell­schaft zu ver­lie­ren.8

Man soll­te sich dar­über im Kla­ren sein, dass Aya­huas­ca das Poten­zi­al hat, inner­halb weni­ger Minu­ten ein Welt­bild zum Ein­sturz zu brin­gen und eine reli­giö­se oder ideo­lo­gi­sche, jeden­falls unan­tast­bar erschei­nen­de Maxi­me in ihr Gegen­teil zu ver­keh­ren. Aus einem Erho­lungs­ur­laub bringt man Erin­ne­run­gen mit – aus einem Aya­huas­ca-Retre­at geht man unter Umstän­den als ein ande­rer Mensch hervor.

Das frei­lich ist Bestand­teil der Metho­de und unver­meid­bar. Eine schwe­re, manch­mal lebens­be­droh­li­che Kri­se zu durch­le­ben liegt den meis­ten per­so­na­len Trans­for­ma­tio­nen zugrun­de. Die wenigs­ten Teil­neh­mer sind dar­auf vor­be­rei­tet, dass ihnen die eige­ne Kul­tur, in die sie nach dem wun­der­ba­ren Erleb­nis bald zurück­keh­ren müs­sen, kei­ne Unter­stüt­zung außer­halb der Dia­gno­se einer psy­chi­schen Stö­rung wird bie­ten kön­nen. Für einen Hype – und nur gegen die­sen wen­de ich mich an die­ser Stel­le – ist die trans­for­ma­ti­ve Kraft, die Aya­huas­ca ent­fal­ten kann, zu stark. Der Wes­ten muss zuerst ein­mal ler­nen, zwi­schen hei­len­der Trans­for­ma­ti­on (die wir so nicht mehr ken­nen), roman­tisch ver­klär­ter Spi­ri­tua­li­tät und psy­chi­scher Erkran­kung ange­mes­sen zu unterscheiden.

Zu bekla­gen ist auch die Geschwin­dig­keit, mit der Men­schen aus dem indus­tria­li­sier­ten Wes­ten die tra­di­tio­nel­len und erprob­ten Zere­mo­nien für sich bean­spru­chen. Durch den Andrang wird ein zen­tra­les iden­ti­täts­stif­ten­des Prin­zip der indi­ge­nen Gemein­schaf­ten geschwächt. Sicher­lich gibt es Hei­ler, die aus huma­nis­ti­schen und spi­ri­tu­el­len Grün­den einer begrenz­ten Anzahl an West­lern die Teil­nah­me an ihren Ritua­len gewäh­ren wol­len. Dass sich mit zuneh­men­dem Bedarf Schar­la­ta­ne und Betrü­ger unter die Ernst­haf­ten gesel­len, wird jedoch nicht ver­wun­dern. Einen DMT-hal­ti­gen Trank zusam­men­zu­brau­en, erfor­dert kein beson­de­res Geschick. Wel­che Zuta­ten hier­für infra­ge kom­men, hat sich her­um­ge­spro­chen. Allein für den psy­cho­ak­ti­ven Flash müss­te nie­mand die Rei­se nach Süd­ame­ri­ka auf sich neh­men. Was die kun­di­gen Hei­ler mit­brin­gen (und was den selbst­er­klär­ten Aya­huas­que­ros ent­schie­den abgeht), sind das Wis­sen um ein aus­ge­wo­ge­nes Set­ting nicht weni­ger als das psy­cho­lo­gi­sche Fein­ge­fühl. Die Hei­ler besit­zen die not­wen­di­ge Erfah­rung und Fle­xi­bi­li­tät, auf die Rat­su­chen­den ein­ge­hen und in einer Not­si­tua­ti­on ange­mes­sen reagie­ren zu kön­nen. Zudem üben sie wich­ti­ge ergän­zen­de Funk­tio­nen aus: ein­mal als Tor­wäch­ter für die Zere­mo­nie und ein­mal als Kul­tur­ver­mitt­ler. Wenn die selbst­er­klär­ten Scha­ma­nen den ahnungs­lo­sen Besu­chern statt einer the­ra­peu­ti­schen Sit­zung die Kari­ka­tur und das Schau­spiel einer sol­chen ver­kau­fen, besteht die Gefahr, dass der Mum­men­schanz außer Kon­trol­le gerät. Sol­cher­art brin­gen sie die Hei­ler in Ver­ruf und schä­di­gen den seit Jahr­tau­sen­den erprob­ten the­ra­peu­ti­schen Ansatz.

Hin­zu­fü­gen soll­te man, dass die scha­ma­ni­schen Hei­ler dem Tou­ris­mus auch Posi­ti­ves abge­win­nen kön­nen. Sie genie­ßen die Wert­schät­zung, die ihrer Tra­di­ti­on ent­ge­gen­ge­bracht wird, und begrü­ßen es, dass wie­der mehr jün­ge­re Men­schen aus dem eige­nen Land an scha­ma­ni­schen Prak­ti­ken Inter­es­se zei­gen. Dar­über hin­aus haben die typi­schen Pro­ble­me der West­ler (All­tags­stress, Mate­ria­lis­mus und Kon­kur­renz­den­ken) ihr Wis­sen um das Hei­lungs­po­ten­zi­al des Aya­huas­ca erwei­tert. Die Behand­lung sexu­el­len Miss­brauchs, der in der perua­ni­schen Gesell­schaft weit­ge­hend tabui­siert ist, wird nun auf­grund des Ein­flus­ses der Tou­ris­ten von eini­gen Hei­lern auch für die Ein­hei­mi­schen ange­nom­men. Das alles ändert nichts dar­an, dass neue Scha­ma­nen nicht von heu­te auf mor­gen aus dem Boden schie­ßen. Der Man­gel an Scha­ma­nen-Nach­wuchs wird sich auch zukünf­tig so ohne Wei­te­res nicht behe­ben las­sen. Übli­cher­wei­se geht der scha­ma­ni­schen Initia­ti­on eine Beru­fung vor­aus, die nur ein­zel­ne Per­so­nen inner­halb einer Gemein­schaft ereilt. Den für die prak­ti­sche Tätig­keit unab­ding­ba­ren Erfah­rungs­schatz erlangt man zudem nicht über Nacht.9 Funk­tio­nie­ren­der Scha­ma­nis­mus ist ein auf das jewei­li­ge sozia­le Gefü­ge hin abge­stimm­ter Auf­ga­ben­kom­plex, der lokal begrenzt blei­ben muss, soll er nicht sei­ne inte­gra­ti­ve Kraft verlieren.

Nicht weni­ger pro­ble­ma­tisch als die Zer­stö­rung der eth­ni­schen Struk­tu­ren ist die damit ein­her­ge­hen­de Kom­mer­zia­li­sie­rung und Tri­via­li­sie­rung der ent­gren­zen­den Erfah­rung. Der Aya­huas­ca-Tou­ris­mus schürt die Kon­kur­renz unter den Hei­lern und wird, nach deren eige­ner Aus­sa­ge, immer mehr zum Geschäft.10 Im tra­di­tio­nel­len Gebrauch beglei­te­te Aya­huas­ca die Men­schen auf ihrem gesam­ten Lebens­weg.11 Aya­huas­ca hat­te nicht nur die Auf­ga­be zu hei­len, es dien­te dar­über hin­aus der Zukunfts­vor­her­sa­ge, der Ent­schei­dungs­hil­fe in all­ge­mei­nen Lebens­fra­gen und trat als Leh­re­rin für Kunst, Mythos und die kos­mi­sche Dimen­si­on auf. Wer sich mit der Geschich­te der Dro­gen­pro­hi­bi­ti­on beschäf­tigt hat, wird die Gefah­ren ken­nen, die von der Kom­mer­zia­li­sie­rung aus­ge­hen. In der Poli­tik der 60er-Jah­re des letz­ten Jahr­hun­derts dien­te sie dazu, der jugend­li­chen Gegen­be­we­gung die krea­ti­ve Unschuld und Glaub­wür­dig­keit zu neh­men und sie der­ge­stalt ihrer inne­ren Bestim­mung zu berau­ben. Die Neu­be­wer­tung und Wie­der­ent­de­ckung der Psy­che­de­li­ka und Entheo­ge­ne droht gegen­wär­tig an den glei­chen Mecha­nis­men zu schei­tern. Das Trau­ri­ge dabei ist, dass es hier­zu nicht ein­mal mehr der Poli­tik bedurf­te – die Gedan­ken­lo­sig­keit und Hab­sucht der Leu­te reicht aus, eine Jahr­tau­sen­de alte Heil­me­tho­de zu bedro­hen oder zugrun­de zu richten.

Damit kom­me ich zum letz­ten Punkt mei­ner Über­le­gun­gen – zur Belas­tung der Umwelt und zum Raub­bau an der Natur. Wenn man den Berich­ten Glau­ben schen­ken kann, hat die Dezi­mie­rung des Pflan­zen­be­stan­des besorg­nis­er­re­gen­de Aus­ma­ße ange­nom­men.12 Es wird nicht mög­lich sein, die The­ra­pie­be­dürf­ti­gen aller Län­der mehr­mals im Jahr in den Ama­zo­nas zu flie­gen, um deren Spi­ri­tua­li­tät auf­zu­pep­pen und sie von den schrä­gen Gepflo­gen­hei­ten des Wes­tens zu befrei­en. Das wür­de den Pflan­zen­be­stand gefähr­den, fos­si­le Res­sour­cen ver­brau­chen und zum Treib­haus­ef­fekt beitragen.

Ich fra­ge mich, wie es gelin­gen soll, dass eine Per­son anhal­ten­de Vor­tei­le aus der Begeg­nung mit Aya­huas­ca zieht, wenn die Zwän­ge des All­tags und die ein­ge­fah­re­nen gesell­schaft­li­chen Struk­tu­ren des Wes­tens die posi­ti­ven Ver­än­de­run­gen eher frü­her als spä­ter wie­der zunich­te­ma­chen. Es ist unver­meid­lich, dass die Neu­aus­rich­tung und der inne­re Wan­del einer Per­son sich in einer ange­pass­ten Lebens­hal­tung und in kor­ri­gie­ren­den, zum Teil auch radi­ka­len Lebens­ent­schlüs­sen äußert. Nur auf die­se Wei­se wird die per­sön­li­che Trans­for­ma­ti­on Bestand haben und von den gesell­schaft­li­chen Ein­flüs­sen nicht auf­ge­zehrt werden.

Die Lösung vie­ler der auf­ge­zähl­ten Pro­ble­me, deret­we­gen Leu­te aus allen Tei­len der Welt nach Süd­ame­ri­ka rei­sen, soll­te auf lan­ge Sicht von deren eige­nen Gesell­schaf­ten erbracht wer­den. Aya­huas­ca ist nichts weni­ger als eine Chan­ce für die Mensch­heit. Es liegt nahe, die Ver­wen­dung von Aya­huas­ca zu Heil­zwe­cken und als Mit­tel zur Per­sön­lich­keits­ent­wick­lung in das kul­tu­rel­le Gesche­hen ande­rer Län­der auf­zu­neh­men. Terence McKen­na – des­sen Bücher und Berich­te in den 70er-Jah­ren des letz­ten Jahr­hun­derts einen erheb­li­chen Ein­fluss auf die Popu­la­ri­sie­rung von Aya­huas­ca hat­ten – sprach sich dage­gen aus, die Scha­ma­nen ihres tra­di­tio­nel­len Kon­tex­tes zu berau­ben. Er hielt es für das Bes­te, sich die Pflan­zen und Tech­ni­ken selbst anzu­eig­nen, um sie umsich­tig an die Bedürf­nis­se vor Ort anzu­pas­sen.13

Damit das gesche­hen kann, muss auf meh­re­ren Ebe­nen gehan­delt wer­den.14 Wir benö­ti­gen nicht nur ergän­zen­de wis­sen­schaft­li­che Stu­di­en – auch das gegen­wär­ti­ge poli­ti­sche Kli­ma, das die­se zu erschwe­ren oder zu ver­hin­dern weiß, bedarf der Kor­rek­tur. Das in Aya­huas­ca ent­hal­te­ne Tryp­t­a­min-Alka­lo­id DMT unter­liegt in vie­len Län­dern (so auch in Deutsch­land) der Pro­hi­bi­ti­on. Damit das Betäu­bungs­mit­tel­ge­setz zum Woh­le der Men­schen geän­dert wer­den kann, soll­te die wis­sen­schaft­li­che, kli­ni­sche, eth­no­lo­gi­sche und inter­kul­tu­rel­le Gewiss­heit über das Poten­zi­al des Heil­mit­tels Aya­huas­ca zum All­ge­mein­gut in der Öffent­lich­keit wer­den. Von ent­schei­den­der Bedeu­tung wird es sein, eine kul­tu­rel­le Rück­be­sin­nung und ein gesell­schaft­li­ches Umden­ken her­bei­zu­füh­ren. Die Men­schen, die Aya­huas­ca ihre Hei­lung, die Trans­for­ma­ti­on ihrer Per­sön­lich­keit oder gar das Wei­ter­le­ben ver­dan­ken, soll­ten sich in ihren Hei­mat­län­dern für die Libe­ra­li­sie­rung von DMT ein­set­zen und (wie die Scha­ma­nen) als Kul­tur­ver­mitt­ler auf­tre­ten. Wir kön­nen im Wes­ten end­lich ein­mal etwas rich­tig machen. Wir soll­ten das Erbe Aya­huas­ca bewah­ren und es vor der west­li­chen Ober­fläch­lich­keit, einem rück­sichts­lo­sen, aus­beu­te­ri­schen Gewinn­stre­ben und der zutiefst inhu­ma­nen Ver­bots­po­li­tik in Schutz nehmen.


[1] Stuart (2002): Aya­huas­ca Tou­rism: A Cau­tio­na­ry Tale. p. 36 (Übers. d. Verf.).
[2] Homan (2011): Char­la­tans, see­kers, and shamans: the aya­huas­ca boom in wes­tern peru­vi­an ama­zo­nia. pp. 64ff.
[3] Ebert (2014): Peru: Die Mode­dro­ge Ayahuasca.
[4] Frec­s­ka (2016): The The­ra­peu­tic Poten­ti­als of Aya­huas­ca: Pos­si­ble Effects against Various Dise­a­ses of Civilization.
[5] Stuart (2002): Aya­huas­ca Tou­rism: A Cau­tio­na­ry Tale. p. 37.
[6] Win­kel­man (2005): Drug Tou­rism or Spi­ri­tu­al Heal­ing? Aya­huas­ca See­kers in Ama­zo­nia. pp. 212f.
[7] Kavens­ká (2015): Aya­huas­ca Tou­rism: Par­ti­ci­pan­ts in Shama­nic Ritu­als and their Per­so­na­li­ty Styl­es, Moti­va­ti­on, Bene­fits and Risks. pp. 354f.
[8] Grof (1989): Spi­ri­tu­al Emer­gen­cy: When Per­so­nal Trans­for­ma­ti­on Beco­mes a Cri­sis. Umschlagrückseite.
[9] Pra­yag (2016): Spi­ri­tua­li­ty, drugs, and tou­rism: tou­rists’ and shamans’ expe­ri­en­ces of aya­huas­ca in Iqui­tos, Peru. pp. 321f.
[10] Pra­yag (2016): Spi­ri­tua­li­ty, drugs, and tou­rism: tou­rists’ and shamans’ expe­ri­en­ces of aya­huas­ca in Iqui­tos, Peru. p. 322.
[11] Win­kel­man (2005): Drug Tou­rism or Spi­ri­tu­al Heal­ing? Aya­huas­ca See­kers in Ama­zo­nia. p. 210.
[12] Nau­wald (2017): Flie­gen­pilz trifft Aya­huas­ca. p. 89.
[13] Grun­well (1998): Aya­huas­ca Tou­rism in South America.
[14] Frec­s­ka (2016): The The­ra­peu­tic Poten­ti­als of Aya­huas­ca: Pos­si­ble Effects against Various Dise­a­ses of Civi­liza­ti­on. p. 13.

Literaturverzeichnis

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    http://​www​.dasers​te​.de/​i​n​f​o​r​m​a​t​i​o​n​/​p​o​l​i​t​i​k​-​w​e​l​t​g​e​s​c​h​e​h​e​n​/​w​e​l​t​s​p​i​e​g​el/
    sendung/swr/2013/peru-droge-102.html
    Abge­ru­fen am 02.02.2018.
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    Der Arti­kel erläu­tert den the­ra­peu­ti­schen Reich­tum des Heil­mit­tels Aya­huas­ca (DMT) unter Beach­tung bio­me­di­zi­ni­scher, psycho-sozia­ler und spi­ri­tu­el­ler Teil­aspek­te. Aya­huas­ca wird immer wie­der als Mit­tel zur Hei­lung auch von Zivi­li­sa­ti­ons­krank­hei­ten genannt. In Tabel­le 1 erfährt man, was dar­un­ter zu ver­ste­hen ist.
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    https://​www​.the​guar​di​an​.com/​t​r​a​v​e​l​/​2​0​1​6​/​j​u​n​/​0​7​/​p​e​r​u​-​a​y​a​h​u​a​s​c​a​-​d​r​i​n​k​-​b​o​o​m​-​a​m​a​z​o​n​-​s​p​i​r​i​t​u​a​l​i​t​y​-​h​e​a​l​ing
    Abge­ru­fen am 02.02.2018.
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    Lewis ana­ly­siert die Über­gangs­pha­se spi­ri­tu­el­ler Kri­sen und erklärt die­se ver­ständ­lich am Phä­no­men des Scha­ma­nis­mus. Eine span­nen­de und emp­feh­lens­wer­te Abhandlung.
  • Nau­wald, Nana (2017): Flie­gen­pilz trifft Aya­huas­ca. Lucy’s Rausch. Nr. 6, Herbst 2017: pp. 86–89.
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